austernbank verlag münchen | Literarische Entdeckungen aus der frankophonen Welt

Leseprobe Cécile Reyboz

Ode an die Krake

Ich begann auf der Stelle.
     Für den Anfang wollte ich nichts wollen, und mehrere Tage arbeitete ich mich daran ab, nichts zu wünschen, kein Verlangen, nicht das leiseste, zu haben. Mein Wesen von jeglichem Wollen zu befreien.
Ich hatte den Anspruch meines Projekts zweifellos unterschätzt. Von Zimmer zu Zimmer machte ich mich daran, ich jagte den Wunsch, um ihn zu vertreiben, das war eine Prüfung. Ich hätte das Nichts-Wollen gerne ohne diese verkniffene Konzentration zuwege gebracht. Auf der Straße – den Reihen von Schaufenstern, Zeitungsläden, Schuhgeschäften und Metroaufgängen ausgeliefert – war es noch schlimmer. Nichts schleicht sich so schnell ins Gehirn wie eine Willensregung. Eine flüchtige Eingebung lenkt die Schritte und Bewegungen, bevor sie überhaupt bewusst formuliert ist. Es wurde zu einem dumpfen Ringen gegen tausende winziger potentieller Vorhaben, zu einer Jagd auf vage Ideen, die drohten, klare Formen anzunehmen. Ich ballte die Fäuste, gewappnet gegen alles, was man automatisch in Angriff nimmt, bereit, mich in einem einheitlichen Block aus Desinteresse entgegenzusetzen, und doch musste ich zwangsweise Dinge durchgehen lassen.
     Ich führte diesen Kampf zu Hause, während der Arbeitszeit, und das führte unweigerlich zu Problemen mit meinem Arbeitgeber, doch ich klärte das. Eines Morgens, nach einer Woche der Läuterung, des Fastens vom Tun, fühlte ich mich bereit, wieder zum Prinzip des aktiven Wollens zurückzukommen. Der Prolog war zu Ende, ich würde zur Tat schreiten: einzig nach meinem Willen zu leben, die Grenzen des Möglichen voll ausschöpfend. Jedes Verlangen umzusetzen, sofern es mir vollkommen zu eigen wäre.
     Einer meiner ersten Wünsche war es, die Sache mit meiner Arbeit zu regeln, das heißt, ich rief an, um zu sagen, dass ich krank sei. Es kam keine Bemerkung, man nahm es zur Kenntnis. Diese Formalität schien beinahe schon zu einfach, man hätte meinen können, sie wussten es schon.
     Was mir schwer fiel zu verstehen war, warum ich nicht deutlich erklärt hatte, dass ich nie mehr arbeiten kommen würde, obwohl diese Entscheidung doch unwiderruflich feststand. Ich wunderte mich, dass ich mich mit einer Lüge begnügt hatte, die die endgültige Verlautbarung nur hinausschob. Schließlich beruhigte ich mich damit, dass es zweifellos deshalb gewesen war, weil ich es so gewollt hatte, was von nun an die einzig gültige Rechtfertigung meiner Taten sein sollte.

 

Ode an die Krake - Cécile Reyboz

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